Armutsbekämpfung – Ein Appell an die Vernunft
Armut ehrlich bekämpfen
– für eine Sozialpolitik, die hilft, stark macht und sich selbst hinterfragt
Fünf Regeln für bessere Armutsbekämpfung
- Hilfe ist keine Einbahnstraße
Wer Hilfe bekommt, trägt auch Verantwortung. Nur so entsteht Entwicklung. - Erfolg statt Moral
Gute Absichten reichen nicht. Es zählt, was wirklich hilft. - Systeme dürfen sich nicht bequem einrichten
Organisationen müssen zeigen: Wir machen uns überflüssig, wenn wir gut arbeiten. - Wer zahlt, darf mitreden
Die arbeitende Bevölkerung muss informiert und gehört werden – nicht nur belastet. - Selbstständigkeit statt Abhängigkeit
Hilfe ist gut – aber nur dann, wenn sie zur Unabhängigkeit führt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sprechen heute über ein Thema, das nicht nur politisch, sondern auch menschlich und moralisch zentral ist: Armut.
In einem Land wie Deutschland, mit einem der stärksten Sozialsysteme der Welt, ist es auf den ersten Blick kaum zu glauben:
Viele Millionen Menschen leben dauerhaft in Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung.
Und das, obwohl wir jedes Jahr 60 -70 Milliarden in die Hand nehmen, um genau das zu verhindern.
Was läuft da schief?
1. Wenn Hilfe nicht hilft
Zunächst einmal: Hilfe ist wichtig. Niemand soll in unserer Gesellschaft durch das Raster fallen.
Aber: Hilfe darf kein Dauerzustand sein.
Denn wenn Hilfe nicht dazu führt, dass Menschen wieder auf eigenen Beinen stehen, dann hilft sie nicht – sie hält fest.
Viele Jobcenter vermitteln weit unter 10 Prozent der arbeitslosen Menschen erfolgreich in Arbeit.
Hilfsprojekte laufen teils über Jahre – mit immer denselben Teilnehmern.
Das ist nicht nur frustrierend für die Hilfesuchenden.
Es zeigt auch, dass unser System sich zu sehr aufs Verwalten statt aufs Verändern konzentriert.
2. Verantwortung hat zwei Seiten
Natürlich gibt es Menschen, die unverschuldet in Armut geraten: Krankheit, Trennung, Jobverlust.
Hier muss der Staat schützen – sofort, unkompliziert, würdevoll.
Aber es gibt auch die andere Seite:
Menschen, die – so hart es klingt – nicht mehr wollen. Oder sich bequem eingerichtet haben.
Der Philosoph Immanuel Kant hat das schon vor über 200 Jahren erkannt. Er sagte:
„Es ist so bequem, unmündig zu sein.“
Das heißt: Wer sich führen lässt, hat weniger Verantwortung. Aber auch weniger Freiheit.
Unsere Sozialpolitik darf Menschen nicht in dieser Bequemlichkeit belassen.
Sie muss sie herausfordern, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen bzw. Anschluss in der Arbeitswelt zu finden.
3. Und was ist mit den Helfern?
Wir reden viel über die Hilfesuchenden.
Wenig oder gar nicht reden wir über die, die Hilfe organisieren – Behörden, Träger, Organisationen.
Auch hier müssen wir ehrlich sein:
„Hilfesysteme neigen nicht dazu, sich überflüssig zu machen.“
Das sagte der Soziologe Niklas Luhmann.
Und er hatte Recht:
Viele Programme haben wenig Anreiz, sich selbst abzuschaffen.
Sie leben davon, dass das Problem bleibt.
Das ist kein persönlicher Vorwurf – viele Helferinnen und Helfer tun ihr Bestes.
Aber: Das System belohnt nicht die Lösung, sondern die Dauer.
4. Wer zahlt, will Wirkung sehen
Und noch eine Gruppe kommt oft zu kurz: Die Menschen, die das alles finanzieren.
Die arbeiten, Steuern zahlen, Familie versorgen – und oft selbst knapp leben.
Sie stellen zu Recht die Frage: Wofür eigentlich zahlen wir?
Wenn sie das Gefühl bekommen, dass manche sich im System einrichten, dass Hilfe nicht mehr befristet, sondern lebenslang wird, dann schwindet die Akzeptanz – und mit ihr die Solidarität.
Ein Sozialstaat, der fair sein will, muss auch nach innen gerecht sein – zwischen denen, die Hilfe brauchen, und denen, die sie tragen.
5. Was braucht es jetzt?
Ich glaube, wir brauchen einen neuen Blick auf Sozialpolitik – ehrlich, wirksam und selbstkritisch.
Das heißt:
- Hilfe zur Selbsthilfe statt Daueralimentation.
- Stärkenansatz statt Hamsterrad der Defizitbekämpfung.
- Radikaler Fokus auf Volition (Tun) und Arbeitsmarktanschluss statt auf Strafsysteme.
- Erfolg daran messen, ob jemand einen beruflichen Anschluss findet – nicht, ob seine Lebenslage „abgeklärt“ wurde.
- Klare Erwartungen an alle, die Hilfe bekommen und Hilfe gewähren.
- Verantwortung v. a. auch von denen, die Hilfe organisieren.
- Hilfesysteme müssen sich überflüssig machen wollen (Anreizsystem etwickeln).
- Trennung von Leistungsgewährung und Beratung zur Rollenklarheit.
- Transparenz gegenüber den Zahlern.
- Unabhängige Evaluationsinstanz zur Wirkungsmessung einführen.
- Einbindung der Wirtschaft in alle Prozesse der Vermittlung, der Aktivierung, der Einarbeitung und der Qualifizierung (Lernen und Anschluss im Tun).
- Von den Nachbarn Dänemark, Schweden, Niederlande, Schweiz etc. lernen.
- Und: Mut zur Entbürokratisierung und Veränderung in der Politik – auch wenn es unbequem ist.
- – …
6. Die Wirtschaft mit ins Boot holen
Und ja – auch Unternehmen können Teil der Lösung sein:
Indem sie Chancen schaffen für Menschen, die es schwerer haben.
Mit Unterstützung, mit Perspektive, mit Partnerschaft.
Aber dafür braucht es auch passende Rahmenbedingungen:
Kombilöhne, Weiterbildung, steuerliche Anreize – kurz: Spielräume zum Mitwirken.
7. Eine unabhängige Arbeitsmarktwissenschaft ist notwendig
Und noch ein letzter, aber entscheidender Punkt zur Glaubwürdigkeit unserer Arbeitsmarktpolitik:
Wer ernsthaft wissen will, was funktioniert – und was nicht – braucht verlässliche, unabhängige Forschung.
Das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Es analysiert die Wirkung von Programmen, von Maßnahmen, von Vermittlungsarbeit.
Doch: Das IAB ist eine Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit.
Es forscht über genau die Strukturen, denen es selbst angehört und die es mitgestaltet.
Das ist so, als ob ein Unternehmen seine eigenen Produkte bewertet – ohne externe Kontrolle. Wir brauchen hier mehr Unabhängigkeit.
Denn sonst bleibt die entscheidende Frage unbeantwortet:
Hilft das, was wir tun – oder hilft es nur dem System, sich selbst zu bestätigen?
Ein wirklich ehrlicher Sozialstaat braucht auch ehrliche Forschung.
Das IAB sollte deshalb institutionell unabhängig werden – wissenschaftlich, personell und finanziell.
Nur so können wir sicherstellen, dass Erkenntnisse nicht angepasst werden,
sondern wirklich zur Verbesserung beitragen.
Schlussgedanke
Armut darf kein Schicksal sein – aber Hilfe darf auch kein Endpunkt sein.
Hilfe muss eine Brücke sein:
Eine Brücke zurück ins Leben, zurück in die Verantwortung, zurück in die Gemeinschaft.
Ein starker Sozialstaat erkennt:
Wirkliche Würde entsteht nicht im Antrag auf Hilfe – sondern im Weg hinaus.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen,
dass Hilfe wieder das wird, was sie sein sollte: eine Starthilfe. Keine Dauerlösung.
Vielen Dank.