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Meine Freiheit – Deine Freiheit – Unsere gemeinsame Freiheit

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Libertärer Autoritarismus

Meine Freiheit muss noch lang‘ nicht deine Freiheit sein
Meine Freiheit, ja, deine Freiheit, nein
Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert
Deine hat bis jetzt nicht interessiert

Georg Kreisler

Freiheitlich und souverän zu leben, funktioniert nur, wenn ich auch die Freiheit und Souveränität des / der jeweils anderen sowie die Freiheit und Souveränität aller in der Gemeinschaft lebenden Menschen genauso würdige und achte, wie ich es ja auch von den anderen Menschen mir gegenüber erwarte. – Goldene Regel

„Niemand kann mich zwingen auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit Anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des Andern) nicht Abbruch thut.“  – Immanuel Kant

Demgegenüber steht einerseits ein rücksichtsloser und autoritärer Egoismus (libertär autoritärer Mensch), der die Freiheit der anderen zu Gunsten der eigenen Freiheit ignoriert bzw. andererseits ein alles und jeden dominierender Kulturalismus, der im Namen einer vorgegebenen Leitkultur individuelle Freiheiten zurückdrängen will.

Die „Ich Kultur“ libertär autoritärer Menschen hat Hochkonjunktur – spätestens die Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus haben diesen Trend befeuert.

Die Behauptung der subjektiven Freiheit steht meist im Zentrum der Proteste. „Freiheit wird hier verstanden als etwas rein individuelles, das soziale Abhängigkeiten leugnet“, sagt die Soziologin Carolin Amlinger bei SWR2.

Gemeinsam mit dem Soziologen Oliver Nachtwey hat sie das Buch „Gekränkte Freiheit“ geschrieben.

Ein Buch über einen neuen Typ von Protestierenden – „Gekränkte Freiheit: Aspekte des libertären Autoritarismus“ 8 Min Audio herunterladen (7,4 MB | MP3)

Wie passt Freiheitsdenken und Autoritarismus zusammen?

Noch vor einigen Jahren hätte man gedacht, dass Hippies und Nazis wenig miteinander zu tun haben, bei den Querdenken-Protesten aber konnte man beobachten, wie alternative Menschen gemeinsam mit Rechten gegen die Corona-Maßnahmen demonstrierten.

Die Teilnehmer/innen stammen aus verschiedenen Bildungs- und Bevölkerungsschichten, aber sie eint der Wunsch frei von Rücksichtnahme, frei von gesellschaftlichen Zwängen, frei von Solidarität zu sein.

Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey – beide lehren und forschen an der Uni Basel im Fach Soziologie – gehen in ihrem Buch „Gekränkte Freiheit“ dem sogenannten libertären Autoritarismus auf den Grund.

„Zunächst sind das ja eigentlich zwei Widersprüche, die man so gar nicht einfach zusammenbekommt“, sagt Amlinger bei SWR2, „wie kann autoritär sein und Freiheitsdenken zusammengehen und tatsächlich ist es so, dass die meisten Menschen, mit denen wir in unserer Forschung gesprochen haben, sich selbst auch gar nicht als Rechte oder Autoritäre bezeichnen würden.“

Querdenker – erklärt von Bernhard Pörksen

Befragte bezeichnen sich selbst als liberal

Stattdessen haben die Forscher festgestellt, dass sich die Menschen meist eher als Liberale oder selbstbestimmte Autonome bezeichneten, denen die Bewegungsfreiheit und die individuelle Lebensfreiheit sehr wichtig sei.

Diese individuelle Freiheit sei so wichtig, erklärt die Autorin, dass dieses Freiheitsverständnis eine autoritäre Trift bekomme. „Freiheit wird hier als etwas rein Individuelles verstanden, das soziale Abhängigkeiten leugnet und wird auch aggressiv verteidigt gegen alle Personen und auch Intuitionen des Staats, die dies Freiheitsrechte einschränken wollen“, so Alminger.

Gekränkte Freiheit Aspekte des libertären Autoritarismus

Oft handelt es sich um Menschen, die sich selbst als aufgeklärt und liberal beschreiben und nicht selten über eine umfassende Bildung verfügen. Ihre Sorge gilt nicht autoritären Populisten, weder Donald Trump noch Wladimir Putin, und auch nicht rechtspopulistischen Parteien wie der AFD.

Sie wähnen sich eingeschnürt von einer Vielzahl von Regeln, Vorschriften und Verboten.

Diese ersonnen habe der Mainstream oder neuerdings die Woken.

Sie sehen sich als Opfer eines bösen Establishments, in dem Liberale und Linke, Wissenschaft und globale Unternehmen sowie gleichgeschaltete Medien einen Totalitarismus unbekannten Ausmaßes vorbereiten.

Sie warnen vor einer Meinungsdiktatur.

Sie sind der Ansicht, es sei kaum noch möglich, vom Mainstream abweichende Positionen zu vertreten.

Libertär Autoritäre stützen sich auf staatlich zugesicherte Freiheitsrechte, möchten aber keinen starken, sondern einen eher schwachen Staat, der ihnen nichts mehr vorschreibt. Wichtiger als die Solidarität mit vulnerablen Gruppen (Stichwort Corona) ist ihnen ihre persönliche Freiheit, das zu tun, was sie wollen. Sie verteidigen „ihre“ Freiheit auf autoritäre Weise.

Freiheit ist in dieser Perspektive kein geteilter gesellschaftlicher Zustand, sondern ein persönlicher Besitzstand.

Der libertär-autoritäre Protest richtet sich gegen die spätmoderne Gesellschaft, rebelliert aber im Namen ihrer zentralen Werte: Selbstbestimmung und Souveränität.

Doch diese Ansprüche auf Autonomie und Selbstentfaltung lassen sich nicht immer erfüllen. Die Versprechen der spätmodernen Gesellschaft stellen sich dann als leer für sie heraus.

Das empfinden sie als erlittene Kränkung ihrer Freiheit. In der Folge gehen sie mit aller Macht in den Widerstand gegen jene Diktatur von Personen und Instanzen, denen sie die Verantwortung für diese Kränkung zuschreiben.

Die libertären Autoritären sehnen sich nicht primär nach traditionalistischen Werten, sie identifizieren sich nicht mit bzw. unterwerfen sich auch nicht unkritisch Führerfiguren, sondern sie identifizieren sich hauptsächlich mit sich selbst, ihrer Autonomie. I`m first.

Libertäre Autoritäre kämpfen aus ihrer Sicht gegen eine Diktatur, sie sehen sich als Heroen im Namen der Demokratie, unterlaufen jedoch demokratische Normen.

Das ist zuweilen verwirrend.

Auch diejenigen, die Demokratie und Freiheit zersetzen wollen, tun dies im Namen von Demokratie und Freiheit.

Auszüge aus:
swr.de/swr2/gekraenkte-freiheit-aspekte-des-libertaeren-autoritarismus
sowie: nzz.ch/meinung/kolumnen/die-libertaere-utopie-ld.1349422

blaetter.de/ausgabe/2017/maerz/der-geist-des-trumpismus